Bronze, Silber – Leinegold

Von Daniel · 19. Februar 2016

Wir reisen ans Ende des Regenbogens und kehren im Leinegold ein. Doch ist dort wirklich alles Gold, was glänzt?

Im 121er sitzen fast nur Paare, die in Papier verpackte Blumen und in Flaschen abgefüllte Weine dabei haben. Sie sind unterwegs zu anderen Paaren, um zusammen zu speisen.
Wir haben keine Blumen dabei, aber Hunger.
«Hunger kann man nicht dabei haben, Hunger ist ein Lebensgefühl», behauptet der Ehemann des Ehepaares, das uns gegenüber sitzt. Seine Frau hat kurze Haare, er einen langen Nachnamen: «Muss ich immer buchstabieren», nölt er. Alexa nickt. Sie kennt die Misere.
Der Wagen hält. Am Thielenplatz treten wir in den eisigen Wind, der uns durch den Tunnel bläst.
Im Leinegold sitzt dann schon eine halbe Stadtnotiz, die andere Hälfte hat der Wind verweht.
«Hi», sagt Melanie.
«Hi», sagt Alexa.
«Hi», sage ich.

Und plötzlich haben wir den Duft des Todes in den Nasen – die Tür zur Raucher-Lounge steht offen.
Und plötzlich haben wir den Duft des Todes in den Nasen – die Tür zur Raucher-Lounge steht offen.

Verlieben an der Bartheke

Wir klettern auf die Sitzbank hinterm Hochtisch, jemand reicht uns die Speisekarten. Was zuerst: Cocktail, Bier, Fanta? Nudeln, Burger, Bruschetta? So viele Möglichkeiten, die wir erst mal studieren müssen. Meine Augen stolpern über die unvorteilhaft Schriftart und entdecken dann die Burger. Oh ja!

Hinter der Bar stehen in Fächern viele Flaschen. Alles ist erleuchtet. Die Farben des Lichts wechseln von Blau nach Rot, nach Gelb. An der Bartheke sitzen ein Mann und eine Frau, die sich kennenlernen, die tief in Augen schauen und sich zaghaft berühren. Sie lächelt und spielt mit ihren Haaren; er spielt mit dem Gedanken, sie zu küssen. Immerhin drücken schon ihre Kniescheiben aneinander.
An einem der Tische am Fenster sitzen ein Junge und ein Mädchen. Sie sind schick angezogen, ihre Haare liegen ordentlich auf ihren Köpfen. Vorsichtig reden sie miteinander – jetzt bloß keinen Unsinn erzählen. Wie langweilig.

Whiskey Sour, Leinegold und … Smoothie.
Whiskey Sour, Leinegold und … Smoothie.

Classic-Burger und Pasta

Dann steht Sebastian an unserem Tisch, er betreibt das Leinegold (und war schon mal im Fernsehen).
«Ich nehme den Classic-Burger mit Käse und Ketchup», diktiere ich dem Küchenchef in den Block.
«Mit Käse?»
«Jaha! Und ein Alster.»
Melanie und Alexa bestellen Pasta.
«Und einen Chardonnay.»

Ein kleiner Mann in Lederjacke kommt rein und nickt seinem Kumpan lässig zu. Der lehnt an der Bar – auch ein Mann in Lederjacke. Das sind richtige Männer, die Bier statt Wasser trinken und Boxen statt Bachelor gucken. Lautstark begrüßen sie sich, hauen sich auf die ledernen Schultern.
«Alter, wie gehts?»
Sie sitzen und trinken und schwelgen in der Vergangenheit. Nachdem alles besprochen ist, stellt einer der beiden sein Smartphone gegen das schlanke Bierglas und sie gucken Fußball.

Brot mit Sesam-Curry-Butter.
Brot mit Sesam-Curry-Butter.

Mitten im Raum steht plötzlich eine kleine Frau und kreischt in ihr Telefon, dann lacht sie schrill und gluckst und gackert. Sie trägt eine riesige Sonnenbrille und einen Pelzmantel, der aus vielen Lebewesen zusammengenäht worden ist. Gehäutete Eichhörnchen, die noch atmen. Die Frau trägt ihren Mantel wie Soldaten ihre Abzeichen: um ihren Status zu verdeutlichen. Sie ist wie ein Veganer, der durch die Fußgängerzone läuft und ständig brüllt: «Ich bin Veganer, ich bin Veganer!» Nur sind es hier die Geister der toten Eichhörnchen, die säuseln: Sie ist reiiich, sooo reich!

leinegold-pasta

Neben uns kraxeln drei Blondinen auf die Sitzbank. Woglinde macht erst mal ein #selfie, dann umklammern ihre dünnen Finger die Stile der Gläser, in denen der Sekt umher schwappt. «Stööößchen!», singen sie.
Pling, pling, schlürf, schlürf.
Schon erstaunlich, wie man auch ihnen den Kontostand ansehen kann. Oder das alles ist nur gelungenes Marketing: Sie sind Marge Simpson, die in der Outlet-Mall zufällig ein günstiges Chanel-Kostüm gefunden haben und jetzt das große Glück vortäuschen, das in echt ganz klein und flüchtig ist.
Doch die Frauen geben sich zu routiniert: wie sie reden und lachen, wie sie mit dem Kellner flirten, wie sie mit spitzen Lippen den Sekt schlürfen. Wie ihre Gesichter operiert sind, um einem Schönheitsideal nachzukommen, das aus einem Terry-Gilliam-Film stammen könnte.
Und wir verspüren leichten Neid auf all das, weil wir uns wünschen, frei zu sein. Und irgendwie scheint Freiheit mit Geld zusammenzuhängen.
«Ach, Freiheit ist doch ein Lebensgefühl», murmelt der einsame Mann am anderen Nebentisch. Wir nicken zaghaft. Und wir sind dann doch glücklich – denn unser Essen ist da!

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Burger und hausgemachter Ketchup.

Geschmacksurteil

Als Vorspeise bekommen wir einen Korb Brot und dazu Sesam-Curry-Butter gereicht, die unsere Geschmacksknospen verwöhnen. Anschließend kommen Burger und Pasta. Die Pommes sind selbst geschnitzt und schmecken toll, schön knusprig. Der hausgemachte Ketchup ist ein echtes Highlight, schmeckt frisch und leicht fruchtig. Und auch der Burger enttäuscht nicht, das Fleisch ist saftig und als Salat liegt Mangold zwischen den Brötchen. (Die Jalapeños habe ich weggelassen, die hätten auf meiner Zunge wohl Brandrodung betrieben.) Die Pasta mit Steinpilzen überzeugen uns auch: «Extrem geil», sagt Alexa und schiebt sich eine Panzerotti in den Mund.

· · ·

Wir haben aufgegessen und bezahlt. Nun tragen wir unsere runden Bäuche nach draußen. Der Tunnel ist erleuchtet, über uns donnert ein ICE entlang. Auf dem Gehweg ganz unten liegen Klamotten, liegt ein Schlafsack, liegt ein Mensch. Da steht ein Einkaufswagen, der ihm als Zuhause dient. Der Mensch schläft, trotz Kälte, trotz Licht. Vorhin hat er noch die Süddeutsche gelesen, den Reiseteil.

Leinegold (Website)
Königstraße 53
30175 Hannover

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