Wenn kleine Fische kitzelige Füße küssen

Von Daniel · 5. März 2017

Fischpediküre in der Südstadt: In der Knabberzeit «küssen» kleine Fische große Füße. Ist das auch für Kitzelige geeignet? Wir haben den Test gemacht!

Die Zeit steht still in der Knabberzeit: Es ist immer zehn nach zehn. Die Wanduhr haben Aleksej Sartison und sein Team während der Renovierungsarbeiten übersehen – jetzt steht die Zeit halt still. Das ist nicht weiter schlimm: Die Knabberzeit soll ein Raum «zum Wohlfühlen und Entspannen» sein – eine tickende Uhr würde da nur stören und an den Zahnarzt-Termin am Montag erinnern.

Ich bin trotzdem nicht entspannt, sondern sogar aufgeregt, ein bisschen – denn gleich werden Dutzende kleine Fische meine Füße «küssen». Und ich bin der kitzeligste Mensch der Welt, bestätigt durch das Fresinius-Institut. Wie soll ich das also aushalten, wenn viele Fische ausgerechnet an meinen Füßen knabbern? Wie?

Das will ich jetzt wissen. Vor mir steht ein großes Aquarium, blubbernd und schön beleuchtet. Ich bin bereit. Vielleicht. Meine Zehen schweben über dem Wasser, ich bin Jesus. «Jetzt tunk schon!», ruft Alexa ungeduldig – also tunke ich zaghaft meine großen Zehen hinein, gefolgt vom Rest meiner Füße. Und sofort schwimmen gefühlt Millionen kleine Fische herbei und beginnen, zu knabbern. Es prickelt und kitzelt, es zwickt und pikst.

In den ersten Sekunden ist das Gefühl intensiv, aber ich halte es aus, gewöhne mich allmählich dran, und dann ist es tatsächlich – entspannend. Bis ein Fisch zwischen meine Zehen gerät und zu knutschen beginnt, mit Zunge! Aaaaah, das kitzelt dann doch und ich muss die Füße kurz rausziehen und eine kleine Pause machen. Durchatmen.

Mondscheinknabbern

Alexa bleibt cool, nippt am Weißwein und lacht mich aus. Es ist Samstagabend, heute ist «Mondscheinknabbern» bei Vollmond. Auf der Straße sind wir schon ein paar Werwölfen begegnet, die wollten aber nur spielen und haben wie Hunde gebellt. Zum Wein gibt es Schnittchen und Caesar’s Salad. Während wir Salat aus dem Weck-Glas essen, zupfen die hungrigen Fische abgestorbene Hautzellen von unseren Füßen, was die Neubildung anregen soll, ohne dass sich Hornhaut bildet. Doch der medizinische Aspekt steht in der Knabberzeit nicht im Vordergrund: Das Ambiente lädt zum Verweilen an, die Gedanken sollen schweifen, während die Füße prickeln.

Die Hygiene wird in der Knabberzeit aber nicht vernachlässigt: Wer verletzte Füße hat, offene Wunden oder Warzen, darf sie nicht ins Becken halten. Es sei zwar hart, die Leute dann abzuweisen, erzählt Aleksej, «aber die Hygiene ist wichtiger.» Zur Kontrolle hat Theresa einen genauen Blick auf unsere Zehen und die Fußsohlen geworfen. Vorher hatte ich meine Socken von den Füßen gerollt und überall großzügig Flusen verteilt, die an meinen Füßen klebten. «Das ist allen Leuten immer peinlich», meinte Theresa. «Besonders im Winter.»

Sind die Füße verletzt, bleiben noch die Handbecken (wenn die Finger nicht bluten). Für Kitzelige kann das ein guter Einstieg sein, denn das Knabbern an den Fingern kitzelt kein bisschen. Vier Handbecken gibt es in der Knabberzeit, sie befinden sich in einem Nebenraum. Im Hauptraum stehen die sechs Becken für die Füße.

Geister der Vergangenheit

Früher befand sich hier die Reichsapotheke. Wenn die Eingangstür von der hohen Luftfeuchtigkeit beschlägt, taucht das alte Apotheken-Logo wieder auf, wie ein Geist aus der Vergangenheit. Ein weiteres Stück Vergangenheit ist an der Fassade geblieben, dort prangt noch der alte Schriftzug. Lange hat die Apotheke leer gestanden, bis die Fische einzogen sind. Seit über einem Jahr wohnen sie nun schon in der Knabberzeit und fressen sich jeden Tag satt. Außer Füße (Proteine!) essen die Knabberfische (Garra rufa) auch noch Gurken (Vitamine) und Gemüse (noch mehr Vitamine). Manchmal essen sie sich auch gegenseitig (Proteine!). Lecker.

Wenn die Fische mal keinen Hunger (auf Füße) haben, können sie jederzeit in den Ruhebereich des Beckens schwimmen oder sich in den Verstecken verkriechen – wie in einem normalen Aquarium.

Als ich als Kind ein eigenes Aquarium hatte, sah das die ersten Wochen wunderschön aus. Dann wurde es grün. Und überall Schnecken. Ekelig. Damit das nicht in der Knabberzeit passiert, wird das Wasser regelmäßig gewechselt und ständig gefiltert. UVC-Licht tötet Erreger und Keime. Viel Aufwand, damit die Becken immer schön sauber und die Füße gesund bleiben.

Neuer Laden in der Oststadt

Bei den Südstädtern kommt die Knabberzeit gut an, erzählt Aleksej, «es ist eine gute Gegend.» Das Publikum ist bunt gemischt, es wird entspannt und gefeiert. So eine Fischpediküre ist auch was für einen originellen Mädels-Abend. Wer will, hat die Knabberzeit ganz für sich allein, dann ist geschlossene Gesellschaft.

Ganz billig ist das Vergnügen jedoch nicht: 20 Minuten Fischpediküre kosten 14,50 Euro, eine halbe Stunde 19,50 Euro. Außerdem gibt es 5er-Karten (je eine halbe Stunde) für 85 Euro. Für Gruppen gibt es Spezial-Tarife, außerdem finden immer wieder Sonderveranstaltungen wie das erwähnte Mondscheinknabbern statt.

Aleksej will mit der Knabberzeit in die Oststadt expandieren.

Jüngst expandierte die Knabberzeit in die Oststadt: Im März eröffnete dort ein neuer Laden. Der ist etwas intimer als der in der Südstadt, wo man durch das große Schaufenster gucken kann. Viele mögen das, sagt Aleksej: einfach dazusitzen und auf die Sallstraße zu schauen. Heute sehen wir nur die Schwärze; es ist spät und die Fische sind müde. Aus ihren Mündern blubbern kleine zzZzz. Wir trocknen unsere Füße ab und rollen die Socken wieder drüber. Uns hat die Fischpediküre viel Spaß gemacht – selbst mir, dem kitzeligsten Menschen der Welt, bestätigt durch das Fresinius-Institut.

Die Filialen in der Süd- und Oststadt sind inzwischen dauerhaft geschlossen.

Ein Stadtblog an der Leine