Frühstück im Familien-Café
Im Café Rockzipfel dürfen Kinder toben, kreischen, spielen – und niemand guckt genervt. Wir wagen uns hinein, obwohl wir keine Kinder haben.
Zum zweiten Frühstück kehren wir heute im Rockzipfel ein, das sich selbst mit kleinem r klein schreibt, denn das charmante Café begrüßt auch kleine Gäste mit offenen Armen. Für Kinder gibt es drinnen eine Art Gehege, in dem sie toben können, während sich die müden Eltern mit starkem Kaffee in den Tag pushen. Draußen steht noch eine kleine Rutsche – und am Eingang steht Luisa-Maria-Sophie im bunten Kleid und mit langen Zöpfen.
«Mamaaa, kommaaa», ruft sie und trippelt zaghaft ins Café mit ihrem Roller. Dann hilft sie ihrer kleinen Schwester, die kaum laufen kann, weil sie hart gefeiert hat und jetzt einfach nur einen Kaffee braucht, schwarz, und dazu das «Hausboot»-Frühstück mit Lachs.
Ich entscheide mich fürs «klein & süß» (4,90€) plus Ei (80 Cent), weil ich 1.) schon ein bisschen vorgegessen habe, heute Morgen, weil ich mit leerem Magen nicht funktioniere, und 2.) weil das Frühstück halt süß sein muss. Bin ja kein Italiener, oder so, dem morgens Espresso und Kippe reichen.
Alexa hat mehr Hunger und entscheidet sich für «vegetarisch» (9,90€), also für zwei Vollkornbrötchen, Frischkäse, Aufstrich und ein Ei.
«Bleib mal kurz hier», sagt die Mama zu Luisa-Maria-Sophie, die wieder raus will, aber nicht darf. Jetzt heult sie: Uuuääähhh! Also gibt die Mama nach, dann gehen sie eben doch wieder raus. Rutschen!
«Wir würden gern draußen essen», informiert Luisa-Maria-Sophie die Ladenbesitzerin, die Sabine heißt und uns erst mal mit Kaffee und Wasser versorgt, dann mit Brötchen, Honig, Melone. L-M-S klingt plötzlich richtig erwachsen.
Maaamaaa!
Alexa ist hin und weg vom frisch gekochten Ei, das noch warm ist. Aus anderen Cafés kennt sie nur kalte Eier, die irgendwann morgens ihre Runden in der Mikrowelle gedreht haben. Aber hier im Rockzipfel kocht Sabine die Eier frisch, deshalb muss ich auf meins noch zehn Minuten warten. Dafür schmeckt’s dann richtig gut, wie auch das Brötchen und der Kaffee.
Der kleine Herbert muss jetzt pinkeln, er schreit, dann verprügelt er seinen Vater, der sich nicht wehren darf. Herbert ist ein echter Teufelsbraten, der die Welt in Flammen sehen will. Dann schubst Herbert erst mal seine Schwester, die ihn nur kreischend auslacht.
«Hier ist es nicht so schlimm, wenn man laut ist», sagt Alexa, als sie mit Wucht die Wasserflasche auf den Tisch knallt.
Für uns kinderloses Paar ist der Aufenthalt im Rockzipfel eine gute Simulation: Wir ahnen jetzt, wie es sein muss, zehn Kinder zu haben. Zehn kleine Menschen, die immer überall und nirgends sind, die toben, die laut sind, die voller Energie sind und die Welt entdecken, alles anfassen und mit Honig beschmieren …
Irgendwann haben wir aber genug simuliert, wir wollen wieder allein sein. Wir packen ein und bezahlen. Mit Karte geht das aber nicht, «da sind wir noch ein bisschen altmodisch», gesteht Sabine, die auf der Rechnung «Kellner 3» heißt. Nebenbei weist Sabine noch eine Küchenhilfe ein, erzählt sie, ansonsten schmeißt sie den Laden heute allein. Das Rockzipfel ist ihr Baby, hat sie der HAZ erzählt. Sie macht hier ihr eigenes Ding und kommt glücklich zur Arbeit. Draußen rauschen die Bäume, rascheln die Blätter. Und Luisa-Maria-Sophie darf endlich rutschen.
Das Rockzipfel ist inzwischen dauerhaft geschlossen. Sein Nachfolger ist das List:ich, das wir wärmstens empfehlen können.