Lust auf die Lister Meile

Von Daniel · 10. Februar 2016
Cominghome: Kissen, Hocker, Lampen mit Schirm und Charme.

Nach Tagen ohne Sonne, aber mit Kälte, Wind und Schnee, knallt plötzlich ungewohnt warmes Licht in unsere Gesichter, brennt die Welt in unsere Netzhäute. Unsere Haut knistert und ist errötet, das Vitamin D strömt durch unsere Adern.

Ein Hauch von Frühling ist das», sagen die Eichhörnchen, die auf unserem Balkon toben. Die können doch gar nicht sprechen, erinnere ich mich und gehe lieber wieder rein, in die gute Stube. Doch dort herrscht Unordnung. Also ziehen wir uns schnell an und steigen wenige Minuten später in die 8, Richtung Hauptbahnhof.
Die Stadtbahn ist voll. Wir passen trotzdem noch rein – und der Kinderwagen mit zwei Kindern, Luftballons und Zirkuspony auch. Es ist so eng wie beim Gruppensex. Viele haben ihre fluffigen Winterjacken an. So ein schneller Wetterumschwung überfordert – eben lag noch Schnee!
«Ist ja auch neu gekauft, der Mantel», erklärt eine ältere Frau unaufgefordert.
«Ist das echter Pelz?», fragt Alexa und zupft am Fell der Frau.
«Aber natürlich, junge Dame, das ist echtes Eichhörnchen.»
«MÖRDERIN!», brüllt Alexa und kna—

Wir sind am Hauptbahnhof angekommen und steigen hinauf, wo noch ein bisschen die Sonne scheint. Kurz gehts zu Zweitausendeins, wo wieder nur Männer mit komischen Haaren stehen und Männer ohne Haare.
«Zweitausendeins ist das Nanu-Nana für ältere Herren», sage ich und zweifle sogleich an meinen eigenen Worten.
«Hm», macht Alexa und gähnt, also gehen wir schnell weiter in den Plattenladen. Da wird noch mehr gegähnt, meine Güte, wir brauchen Koffein! Also stehen wir vor der Pâtisserie Elysée, wir haben einen Gutschein für ein Törtchen und einen Café au lait.
«Was ist das eigentlich, Café au lait?», frage ich.
«Milchkaffee», übersetzt Alexa, die auch gern mal einen Schwarzen Tee mit weißer Milch schlürft.
«Das stimmt doch gar nicht», murmelt Alexa.
In der Pâtisserie ist es voll. Und eine Toilette gibts da auch nicht, wie ein hässliches Schild gleich am Eingang verrät. Dabei regt Kaffee doch den Stoffwechsel an!

Cominghome: Kissen, Hocker, Lampen mit Schirm und Charme.
Cominghome: Kissen, Hocker, Lampen mit Schirm und Charme.

Kaffee im Vintage-Zuhause

Durch Zufall schauen wir im Cominghome (Facebook) rein, ein charmanter Laden, der gegenüber der Sparkasse liegt und Wohnaccessoires und Kaffees verkauft. Vorne gibt es ein paar bunte Tische, an denen junge Menschen hocken. Ganz links sitzt ein Pärchen, das vielleicht gerade gestritten hat. Sie schaut mit gläsernen Augen in die Leere; er krault lethargisch seinen Vollbart, aus dem es leise zwitschert. Manchmal macht Liebe schlechte Laune. An den anderen Tischen geht es lebhafter zu, da wirkt das Koffein schon.

Im Laden gibt es benutzte Stühle, alte Schilder, neue Gefäße und viele Kleinigkeiten, die eine Wohnung verschönern. Auch Sportgeräte aus Schulen können die Kunden kaufen. Doch weil ich die schlimmsten Stunden meiner Schulzeit in Sporthallen verbracht habe, könnte ich mir nie einen Springbock oder einen ausrangierten Sprungkasten ins Wohnzimmer stellen. Ich würde ständig kalte Schweißausbrüche kriegen und meinen ehemaligen Sportlehrer brüllen hören. Das ist auch der einzige Grund, warum ich keinen Pool im Wohnzimmer habe – der Schwimmunterricht war nämlich noch beschissener als das Turnen. Und das lag nur an dir, Herr Draht!

dean-and-david-innen
Möhrenstäbe, Reis, Erdnusssoße, Hühnchen …
Mittagessen bei Dean & David: Möhrenstäbe, Reis, Erdnusssoße, Hühnchen.

Mit Mozzarella

Wir sind am Dean & David angekommen, wo wir uns ein verspätetes Mittagessen genehmigen – oder ein verfrühtes Abendbrot, je nachdem.
Wir stehen an der Theke, um unser Essen zu bestellen.
«Zwei Refresher und so’n Grillgemüse-Ding», sage ich und deute vage in Richtung Auslage, wo Sandwiches und Karottenkuchen liegen.
«Grillgemüse mit Mozzarella», ergänzt die junge Frau hinterm Tresen, als wäre sie die Autokorrektur im Telefon.
«Jaaa, genau», sage ich, «und dazu noch das Chicken mit Erdnusssoße – aber ohne Salat, also die Single-Variante.»
«Ich muss das jetzt in die Kasse eingeben», sagt die Autokorrektur und guckt mich erwartungsvoll an, als hätte sie mir gerade einen Heiratsantrag gemacht und warte nun auf meine Antwort.
«Also: zwei Refresher, small, also klein, dann so ein Grillgemüse-Ding …»
«… mit Mozarella …»
«… und das Erdnuss-Chicken als Single.»
Sodann ist es geschafft, ich überreiche 16,50 Euro und erhalte ein grünes Viereck, das leuchten wird, wenn das Essen fertig ist.
«Dean und David sind bestimmt mit Ben und Jerry befreundet», sage ich, während wir auf grünes Licht warten.
«Tom und Jerry», verbessert Alexa und zün—
Plötzlich leuchtet das Viereck in alle Richtungen, als wäre es ein UFO, das gleich abhebt. Ich trage den epileptischen Lichtanfall nach vorne, schiebe das Viereck in die Abgabestation. Und da steht mein Essen – stehen aber keine Refresher.
«Und die Getränke?», nöle ich.
«Ups, vergessen! Bring ich euch gleich», singt die Autokorrektur.
Wenige Minuten später trägt sie zwei riesige Gläser mit rotem Saft zu uns. Der ist me-ga-ge-sund, enthält eine Orange und eine rote Bete und einen Apfel und eine Karotte.
«Ich habe euch zwei große gemacht, weil ihr warten musstet», sagt die Autokorrektur.
«Oh, danke», säuseln wir und schlürfen aus Strohhalmen unsere Säfte. Gesundheit!

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