Stadtbummel und Stammkreipe
Die Lister Meile lädt ein zum Flanieren, Einkaufen und Schauen. Runter also vom Sofa und rein ins gleißende Sonnenlicht: Momentaufnahmen aus der Oststadt.
Manchmal wünsche ich mir, dass es den ganzen Samstag lang regnet – dann müsste ich nicht vor die Tür und könnte einfach im Bett liegen bleiben oder auf dem Sofa. Mal die Zeitung komplett lesen, sogar den Wirtschaftsteil. Doch an jenem Samstag schien die Sonne gnadenlos und trieb uns ins Freie. Mit dem Rad fuhren wir in die Innenstadt, um Produkte zu erwerben.
Bei 25 Music hatte ich ein bisschen Glück, weil sie dort die neue LP von Jamie xx vorrätig hatten. Der Schallplatte lag auch eine CD bei – zwei obsolete Datenträger zum Preis von einem! (Der Musikliebhaber denkt nun: Vinyl ist obsolet?! Du Banause!) Nach einem kurzen Abstecher zu Zweitausendeins, wo ich noch ein Buch über Pablo Neruda erstand, schlenderten wir in Richtung Lister Meile und machten eine Kaffee- und Kuchenpause in der Konditorei Kreipe, einem Café das irgendwie auch Coffee Time heißt. Nerudas Gedichte dienten mir zeitweise als U-Bahn-Lektüre – allerdings ist die U-Bahn nicht der beste Ort für Liebeslyrik.
Wespen sind Arschlöcher
«Ich finde es komisch, wenn Leute nicht lesen», erzählte ich gerade, als wir uns an einem Tisch in die Sonne setzen. Dann merkte ich, dass hier draußen niemand eine Bestellung entgegen nimmt und ich ging hinein, um bei einer netten Frau mit Haaren zwei Kaffee und zwei Kuchen zu ordern, nämlich einen Zwetschgenkuchen für Alexa und einen Blaubeerkuchen für mich.
Meine Wahl war die bessere, müssen dann alle Anwesenden zugeben.
«Die Zwetschge ist eine Unterart der Pflaume», zitierte jemand die allwissende Wikipedia.
«Ihrkes hatten einen Pflaumenbaum im Garten und da schwirrten die Wespen herum, die sich an den heruntergefallenen Früchten labten und zwischendurch Menschen stachen, nur so aus Spaß, weil Wespen halt Arschlöcher sind.»
Und auch jetzt sind die Wespen schnell zur Stelle, fliegen um unsere Köpfe und naschen am Kuchen. Bei jedem Bissen müssen wir aufpassen, kein Insekt zu essen. Sahne kostet 50 Cent extra.
Im Café lesen
Vor uns nimmt eine Frau mit schwarzen Haaren Platz. Sie trinkt einen Latte Macchiato, wie wir. Sie setzt sich allein hin, kramt ein Buch aus der Tasche und ein Notizbuch. Sie liest Der Mönch, der seinen Ferrari verkaufte, ein Buch über die wesentlichen Dinge im Leben, verrät eine Rezession, äh, Rezension bei Amazon. Ich lese lieber Barbara die Schlampe und andere Leute von Lauren Holmes.
Wir brachen gestärkt auf, um noch ein bisschen die Lister Meile entlang zu laufen. Viele Läden machten schon zu, dabei war Samstag und der kleine Zeiger erst auf der Fünf. Nachdem wir noch schnell eine Tischdecke kauften, kehrten wir zurück zu unseren Fahrrädern, die niemand gestohlen hatte. Tischdecken sind praktisch, um hässliche Tische zu verstecken.
Im Häusereingang saßen drei Besoffene, die stanken und ziemlich mitgenommen aussahen. Tischdecken eignen sich auch, um Menschen zu verstecken, überlegte ich vorsichtig. Der eine Besoffene erzählte lallend von seiner Ex: «Meine Ex, meine Ex, meine Ex – diese dumme [unverständlich]!»
Eine Frau hat sich also mal gedacht: Ach, dieser müffelnde Mann hat zwar kein Haus und keine Dusche und keine Toilette und keinen Teppich und nix. Aber ich bin jetzt mal mit ihm zusammen, ich will die Mutter seiner Kinder sein – auch wenn die dann verhungern. Liebe ist schon ein sonderbares Ding. Wir fuhren nach Hause und warfen unsere neue Tischdecke über den Ikea-Tisch.
Unser Anwalt, Dr. Edelbert Blankewiese-Kopsieker, riet uns zu folgender Klarstellung: Tischdecken gehören auf Tische – und nicht auf Menschen. «Auch Besoffene sind Menschen, die Liebe und Aufmerksamkeit verdient haben», erklärte B-K telefonisch. Er selbst habe jahrelang unter einer Tischdecke leben müssen und wisse daher, wie schlecht die Luft dort sei. Atmungsaktive Tischdecken seien oft teuer und sehr hässlich. (Unser Anwalt redete sich anschließend in Rage und beschimpfte uns als ‹privilegierte Spießer› und legte auf.)