Streifzug durch Hannover-City
Volle Fußballfans, glitzernde Glasscherben, punkige Pokémons – und es knallt. Ein Samstagnachmittag in Hannovers Innenstadt.
Es ist Samstag und alles ist möglich. Himmel und Sonne schreien uns an, treiben uns nach draußen, wo die Stadt aus einem langen Winterschlaf erwacht. Auf den Straßen tummeln sich die Menschen, taumeln von Laden zu Laden. Auf dem Spielplatz um die Ecke toben Kinder mit Doppelvornamen, während ihre Eltern verträumt in die Sonne schauen und sich von ihr zungenküssen lassen. Die Wärme auf der blassen Haut spüren.
Wir pumpen unsere Räder auf und radeln in die Innenstadt, parken am Mezzo. Bei Penny ist’s voll, bei 25 Music ist’s voll, auf den Fußwegen ist’s voll. Und voll sind auch die Fußballfans, die zum Stadion wollen. Sie tragen Dönertaschen und Biere in den Händen, schieben ihre Bäuche durch die Menschenmenge, spielen nach vorn. Auf dem Boden glitzern Glasscherben.
Wir gehen durch den Tunnel neben dem Bahnhof, Richtung Innenstadt. Über uns donnern die Züge entlang, neben uns kracht ein schlankes Motorrad durch die Dunkelheit, röhrt dem Licht am Ende des Tunnels entgegen. Es riecht nach Pisse. In der Luisenstraße duftet es dann nach teuren Duftwässern. Es ist hell und sauber. Ein Porsche parkt ein, so ein SUV, der nie groben Dreck unter den Reifen spüren wird. Ein paar Menschen, die Kleider ohne Logos tragen und sich gewählt ausdrücken, sitzen in der Sonne und essen ein leichtes Mittagessen und schlürfen Weißwein. Da sitzen auch Elfriede und ihr dritter Mann Theodor, der eine orangefarbene Weste über dem Polohemd trägt. Auch Elfi und Theo wollen gleich noch ins Stadion.
Wir gehen weiter zum Opernplatz, da treffen sich junge Menschen, die einerseits wie Punks aussehen, andererseits wie Pokémons, weil sie plüschige Kostüme tragen. Aus ihren Mobiltelefonen scheppert schnelle Musik, leicht aggressiv, aber ohne Bass, Bass.
«Keine Ahnung, wie man diese Subkultur nennt», gebe ich zu.
«Ob die wohl öfter Stress mit der Polizei haben?», fragt Alexa mit ihrem astreinen Führungszeugnis, das sie immer bei sich führt.
«Von denen sind sicherlich einige namentlich der Polizei bekannt!», lallt Theodor, der plötzlich neben uns steht, mit dem Weinglas in der Hand. (Hat er geklaut, das Glas.) Elfi klammert sich an seinen Arm. Sie ist auch schon voll. Um ihren Hals schlingt sich ein Hannover-96-Schalalalala.
Früher war nichts besser!
Mich übermannt plötzlich der Hunger und einige Augenblicke später stehe ich an der Nordsee. Früher haben Bremer 1,50 gekostet, jetzt kosten sie 2 Euro und es ist mehr Ketchup drauf. Ich beiße ins Brötchen und an den Seiten quillt alles raus.
Vor dem Mäntelhaus Kaiser steht ein Stand von der AfD. Theodor hat schon einige Flyer in der Hand. Auf dem Boden liegen auch noch welche, die sind aber alle zerrissen. Theodor lauscht den Worten eines kleinen AfD-Männchens, das ganz aufgeregt die Forderungen der Partei erklärt. Auf dem Transparent steht zum Beispiel «Hannover filzen». Will die AfD jeden Hannoveraner abtasten lassen? Und müssen wir das ernst nehmen? Was, wenn diese frustrierten Männchen tatsächlich irgendwann im Bundestag sitzen, Macht haben, das Land regieren?
Am AfD-Stand steht noch ein anderer Mann, der sehr alt ist und geduldig auf Fragen wartet. Er hat die gute, alte Zeit noch miterlebt. Damals, als alles besser war und einfacher. Damals, als der Bremer noch 50 Reichspfennig gekostet hat. Jetzt steht der Alte im Schatten und sieht irgendwie traurig aus. Und auch: lächerlich. Aber ich habe kein Mitleid mit ihm, im Gegenteil. Ich verachte seine Ansichten, seine Tradition und seine politischen Wünsche. Und ich verachte die AfD und jeden, der sie wählt. Fickt euch und eure Forderungen – wir wollen sie nicht erfüllt haben.
Dann explodiert eine Bombe. Die Druckwelle knallt gegen mein Trommelfell. Es piept. Es raucht. Ein Auto weicht aus. Fußballfans haben einen Polenböller gezündet, ihn auf die Straße geworfen. Sie lachen und singen und zünden noch einen an. Es ist Samstag und alles ist möglich.