Wem gehört der nice Kuchen?

Von Daniel · 25. Juli 2018

Ein Sonntag in Linden: People-Watching auf der Limmerstraße – und ein fantastischer Kuchen im «Ladencafé».

Limmerstraße, sonnige Gesichter, kiffende Omas und Hunde, die ohne Leine laufen dürfen. Schön hier, immer wieder – aber, ach: Das Café Bohne hat geschlossen, endgültig, für immer. Jemand hat vor dem Schaufenster ein paar Kerzen und Kuscheltiere aufgestellt. Auf zwei Papierblättern steht «Warum?» und «Bohne – Wir vermissen dich». Auch die Bäckerei Doppelkorn nebenan ist bedroht, sie sucht neue Räumlichkeiten.
«Tja, und irgendwann gibt’s hier nur noch Rossmann, Rewe, Zara», sagt jemand. Eben all die schrecklichen Geschäfte ohne jeden Charme, die schon die Innenstadt dominieren. Es ist offenbar keine einfache Zeit, einen Laden zu eröffnen oder ein Café zu führen.

Kuchen Now!

An der Haltestelle steht Lisa, sie war vorhin schon auf dem Maschsee segeln und im Café Corner Käsekuchen essen, erzählt sie fröhlich.
«Oh, ich will jetzt auch Kuchen», nöle ich wie ein verwöhntes Kleinkind, das jeden Wunsch erfüllt bekommt, weil es sonst die ganze Welt in Stücke haut.
Also kehren wir Minuten später im Ladencafé Linden-Nord ein. Besitzerin Tomke behauptet, all ihre Kuchen seien toll – und es stimmt: Unsere beiden Kuchen sind lecker und cremig und einfach nice. Außerdem sind sie total vegan, das freut vor allem Alexa, die in jedem Café, das wir betreten, sofort nach veganen Kuchen fragt (und oft enttäuscht wird). Ich bestelle noch einen «Flat White», weil das besser als «Cappuccino» klingt.

Tomkes Chef wirft von oben einen strengen Blick herab.
Flat White klingt besser als Cappuccino oder Milchkaffee.
Der kühle Boden ist an heißen Tagen die beste Unterlage.

Dann herrlich in der Sonne sitzen, schwitzen und Kaffee schlürfen. Und während wir da so existieren und verdrängen, dass morgen wieder Montag ist, setzen sich zwei junge Menschen an einen kleinen Tisch an der Wand. Ich erschrecke, oje, die kenne ich doch! Das sind die beiden Schnuffis, die meine alte Lindener Wohnung von mir übernommen haben. Die Anzeige bei WG-Gesucht war keine Stunde online, da klingelten sie schon bei mir. Einfach so. Ohne Voranmeldung. Das war ein bisschen frech, aber sie haben die Wohnung schließlich bekommen. Wahrscheinlich haben sie seitdem nicht mehr geschlafen. Sie sehen tatsächlich etwas müde aus. Über, unter und neben der Wohnung wohnen nämlich ausschließlich verrückte Spinner, die die ganze Zeit Krach gemacht haben. Zum Beispiel der Typ von gegenüber, der nackt –
«Ja, jaa, das hast du alles schon erzählt», grummelt Alexa und beißt in ihren Kuchen.

Dann will sie meinen probieren, aber ich lasse sie nicht. Ich hasse das nämlich: Es ist mein Kuchen, den hab ich mir ausgesucht, weil ich Lust darauf habe. Und ich will nicht den Kuchen, den Alexa isst – sonst hätte ich mir den ja ausgesucht.

«Es ist eigentlich mein Kuchen, weil du gar kein Geld hast», korrigiert Alexa.
«Noch haben wir nicht bezahlt, es ist genau genommen also Tomkes Kuchen, den wir hier aufessen.»
«…»
«…»
«Ist zufällig ein Anwalt anwesend, der die Sache klären kann?»
Alle schauen anstrengt auf den Boden, bis ein mittelalter Mann (im Anzug) doch noch die Fassung verliert.
«Jaaa, gut – ich bin Fachanwalt für Kuchen-Recht», gesteht er.
«Aha, ein schöner Zufall. Wie ist das nun mit dem Kuchen? Wem gehört er? Wer darf beißen und wer nicht?»
«Also, der Gesetzgeber legt in Paragr–»

Kaffee & Kosmetik

Schneller Themenwechsel: Das Ladencafé heißt so, weil es außer Kaffee und Kuchen auch noch Kosmetik zu kaufen gibt. Die stellt Tomkes Mutter her, sie ist gelernte Drogistin, ein Beruf, den es in dieser Form heute nicht mehr gibt. Jedenfalls kennt sie sich gut aus mit der Haut und weiß, was ihr gut tut. In eigener Herstellung entstehen Seifen, Olivenölcremes und Bodysprays aus reinen ätherischen Ölen. All das gibt es im Ladencafé zu erwerben. Gern und ausführlich erklärt Tomke die verschiedenen Produkte und beantwortet jede Spezial-Frage. Alexa probiert einmal alles aus und riecht am Ende wie eine rosige Orange, die ein Vanille-Lavendel-Eis gegessen hat.
«Ich will mich nicht einmischen, aber es ist verboten, die Düfte auf diese Weise zu mischen», sagt der Anwalt, der plötzlich neben uns steht. «Das regelt Paragr–»

Eine groteske Schönheit.

#noexcuses

Rückweg durch das Ihmezentrum, wo Gespenster durch die zugigen Betongänge schweben und leise schluchzen. Wir eilen hindurch und sind schnell wieder im herrlichen Sonnenlicht. Auf der Fußgängerbrücke überholt uns ein Mädchen, das eventuell joggt, aber ständig stehen bleibt, um Selfies zu knipsen. Ein Gespenst taucht plötzlich in ihrem Bild auf und brüllt enthusiastisch: «Photobomb!» Das Mädchen erschreckt sich so sehr, dass ihr das Smartphone aus der Hand rutscht und in die Ihme plumpst. Das Gespenst lacht sein fieses Lachen und verpufft.

Unser Ziel ist das Leineufer. Wir nehmen die Calenberger Straße, laufen vorbei am Pfannkuchen-Haus, wo es wohl Pfannkuchen geben wird, nehme ich an. Wir verweilen einen Augenblick vor der Calenberger Radkultur und betrachten die prächtigen Schindelhauer-Räder. Edle Fortbewegungsmittel, die ins Geld gehen, aber jeden Cent wert sind, wie ich finde.
«Achtung, das ist Werbung!», ruft unser Anwalt und schaut mich erschrocken an.
«Oha, muss ich die jetzt kennzeichnen?»
«Besser is das, junger Mann!»
«Also gut: Werbung wegen Markennennung
Dann gehen wir weiter, und so weiter, bis wir am Leineufer sind. Menschen hocken an der Leine, Hunde bellen, das Wasser rauscht.

Inzwischen ist das Ladencafé dauerhaft geschlossen.

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