Eat The World: Kulinarische Stadtführung durch Linden
Wir begeben uns auf eine kulinarische Reise durch Linden-Mitte und Linden-Süd. Wir entdecken schöne Orte und erfahren spannende Stadtgeschichten.
Am Ende dieser besonderen Stadtführung sind wir doch noch satt geworden. In unseren Bäuchen vermischen sich Nuss-Eis mit Kidney-Bohnen, Schafskäse mit Knoblauch und Falafel mit Schokolade. Wir sitzen im Tandure am Ihmeufer. Ein lauer Wind bringt die bunten Tücher über unseren Köpfen zum Tanzen. An einem langen Tisch feiern sie einen Jungesellinnenabschied.
«Haben früher nur die Männer gemacht, so auf ihre Weise», sagt Ilse, saugt an ihrer Zigarette und bläst den Qualm in die Luft.
Die Frauen sind schwarz gekleidet, nur die Braut trägt weiß. Mit verbundenen Augen entsteigt sie einem bulligen Audi S6. Vitali ist ganz hin und weg von dem Gefährt. So einen will er sich auch holen, irgendwann, sagt er, und sieht verträumt in sein Bierglas. Die Braut nimmt das Tuch von den Augen und kreischt vor Freude.
Vor dreieinhalb Stunden haben wir vor dem Theater am Küchengarten (TAK) gewartet. Wir sind 16 Menschen, die heute die kulinarische Seite von Linden erkunden wollen. Corinna von Eat The World wird uns führen. Erst mal fragt sie, ob sie uns duzen darf. Sie darf. Dann taucht Rainer auf. Er trägt ein dunkelblaues Polohemd, das mit Wörtern bedruckt ist, die auf einem Polohemd nichts zu suchen haben. Er war noch schnell im 11a pinkeln und gibt Corinna die Hand. Rainer ist ein höflicher Mann und der neue Freund von Renate. Außerdem ist er der Vater von Maike, die ihm diese Tour zum Geburtstag geschenkt hat. Maikes Freund ist auch mit, er heißt Vitali. Vitali mag Audis, aber keine Vegetarier: Die würden zu viel Soja essen und für Soja holzen sie den Regenwald ab. Hat er bei Facebook gelesen. Renate nickt zustimmend, sie hat’s schon immer gewusst. Ob noch jemand eine Bifi will, fragt sie in die Runde. (Niemand will.)
Essen, Trinken, Stadtgeschichte
Bevor es losgeht, erzählt Corinna ein bisschen was über Hannovers buntesten Stadtteil. «In Linden passiert gerade sehr viel», sagt sie. Damals lebten hier noch die Arbeiter, dann kamen die Gastarbeiter und zuletzt die Studenten und Dinkelbrot-Hipster mit ihren nachhaltigen Jute-Turnbeuteln. Früher hatten die Arbeiter ihr Klo noch auf halber Treppe. Zum Duschen mussten sie ins städtische Badehaus gehen, in dem sich heute das TAK befindet. An den Wochenende kamen die Familien mit Seife und Handtuch hierher: Badesamstag! Harte Zeiten, damals.
Bevor vor Hunger aber niemand mehr zuhört, brechen wir auf. Corinna will uns zu sieben Stationen führen – zu sieben Cafés, Imbissen und Restaurants, die alle inhabergeführt sind. «Wir haben 10 Minuten pro Stopp», erklärt sie. Die gesamte Tour soll drei Stunden dauern.
Vor der ersten Station machen wir spontan Halt bei der Freiwilligen Feuerwehr Linden, die im ältesten Feuerwehrhaus Hannovers untergebracht ist. Ich freue mich schon auf gegrillte Bratwurst und Schinkengriller – aber zu essen gibt’s bei diesem Stopp nichts, nur einen kurzen Abriss über die Geschichte der Lindener Feuerwehr, vorgetragen von Ortsbrandmeister Walter Matthias. Er wohnt in dem alten Gebäude, direkt über den Feuerwehrfahrzeugen. Sehr schön sei das, aber manchmal auch ein Fluch. Wenn’s brennt und die Sirenen kreischen, kann er sich nicht einfach umdrehen und weiterschlafen.
Kaffeepause (ohne Kaffee)
Gegen halb zwei erreichen wir die erste kulinarische Station: die Kaffeepause (inzwischen ist dort das Fräulein Schlicht eingezogen) in der Davenstedter Straße. Ich bin hier schon öfter vorbei geradelt und wollte immer mal reinschauen – habe es aber nie getan. Wie das halt so ist. Nun bin ich drinnen und trete fast auf einen Hund, der auf dem Boden poft.
«Das ist der Kaffeepausehund», sagt die Frau hinterm Tresen.
«Wuuuff, waaaff», bestätigt er und legt seinen flauschigen Kopf wieder auf den Fußboden.
Wir gehen durch das Café in den Hinterhof. Da ist es sehr gemütlich und grün, sehr idyllisch und schön. Hier will man seine Hausaufgaben machen – sogar Mathe!
Der Hof ist voll: Wir sind wie Touristen, die aus einem Reisebus gestolpert sind. Ein bisschen unwohl ist mir schon, weil wir im Weg stehen und die Ruhe der Gäste stören. In der Ecke sitzt eine Frau im Schatten und liest ein richtiges Buch, Literatur! Ein Paar redet über die Gesellschaftsstrukturen im 16. Jahrhundert. Und die Chefin von der Kaffeepause erklärt uns das Essen: Es gibt selbst gebackenes Brot und ein kleines Schälchen mit Kidneybohnen-Salat. Ein leckerer Anfang unserer kulinarischen Tour.
An jeder Station gibt es eine kleine Kostprobe als Appetitanreger. Jede einzelne macht nicht satt – aber alle zusammen. Wer Durst hat, muss sich selbst etwas mitbringen, einen schönen Weißwein vielleicht oder ein Vitamalz. Vitali hat nichts dabei, er bestellt sich einfach überall ein Getränk: erst eine Zitronen-Limo, dann einen Kaffee und dann noch eine Flasche Herri. Im Preis (33 Euro p.P.) ist die Stadtführung samt Infos und Essen enthalten. Es gibt verschiedene Touren, die jeweils durch einen Stadtteil führen. Am beliebtesten ist die Linden-Tour. Recht neu dabei ist die Südstadt. Außerdem könnt ihr euch durch die List und durch die Nordstadt schlemmen.
Kulinarisches Bermudadreieck
In Linden-Mitte müssen wir nicht weit zur nächsten Station laufen, alles liegt dicht beieinander. Corinna nennt das ein kulinarisches Bermudadreieck. Prompt verschwindet dann auch Rainer, aber niemand will ihn suchen. Lieber probieren wir persisches Brot und tunken es in knoblauch-geschwängerte Dips. Anschließend was Süßes: Auf unseren Zungen schmelzen leckere Trüffelpralinen.
«Rainer!», ruft Renate plötzlich.
Ihr zweiter Ehemann ist wieder aufgetaucht, er war nur kurz pinkeln gewesen. Nun steckt er sich die Schokolade in den Mund – aber zerbeißt sie. Welch Fauxpas.
Mit halbvollen Mägen verlassen wir Linden-Mitte und wandern nach Linden-Süd, das unbeliebteste Linden, das Linden mit dem schlechtesten Ruf. Doch auch hier gibt es ganz schöne Ecken: Beispielsweise das Ahrbergviertel, wo das Rias Baixas II die Gaumen seiner Gäste verwöhnt. Leider aber nicht unsere – dabei hätte ich durchaus ein paar Tapas vertragen können. Oder ein paar Pasteis. Auch beim Portugiesen in der Deisterstraße machen wir nicht Halt. Stattdessen essen wir beim Falafel King. Mich hat der Stopp zunächst ein bisschen enttäuscht, denn Dönerbuden kenne ich zur Genüge. Der leckere Lahmacun stimmt mich aber milde.
Der Falafel-König kocht nur mit frischen Zutaten und nach eigenen Rezepten, steht im Linden Guide, den uns Corinna in die Hand gedrückt hat. Vitali hat seinen schon verbaselt. Er hockt draußen auf einer Bank und mampft.
«Endlich Fleiiisch», säuselt er.
Für Alexa gibts einen vegetarischen Lahmacun. Sie setzt sich zu Vitali.
«Wusstest du, dass Soja vor allem FÜR RINDER angebaut wird?!», schreit sie ihn plötzlich an.
«Ähm», sagt Vitali.
«Jaha!»
«Ähm», sagt Vitali.
«JA-HAAA!»
«Sooo, wir müssen dann mal weiter», mischt sich Corinna in den schwelenden Konflikt ein und verhindert Schlimmeres.
Nach einem kleinen Abstecher zur Eisdiele, wo es für jeden eine Kugel gibt, kehren wir schließlich im Tandure am Ihmeufer ein. Dort bekommen wir zum Abschluss einen kleinen Vorspeisenteller mit Brot. Die Kellner sind absurd gut gelaunt, sie lachen und machen Witze. Ich schmolle derweil: Die rauchende Ilse hat mir das Besteck und das Brot geklaut. Echt fies. Auch Maike hat es nicht leicht, ihr Pferd muss bald umziehen. «Ich weiß nicht, ob es sich mit den anderen Tieren verstehen wird», gesteht sie. Es seien «ranghohe Pferde» mit guten Abschlüssen. Vitali hört nicht zu, sondern schlürft konzentriert sein zweites Bier; Renate und Rainer schlürfen ihr erstes. Alexa und ich betrinken uns mit Limo und Fassbrause. Und in unseren Bäuchen vermischen sich Nuss-Eis mit Kidney-Bohnen, Schafskäse mit Knoblauch und Falafel mit Schokolade.
Vielen Dank an Eat The World, die uns zu dieser kulinarischen Reise eingeladen haben!